Stellungnahme

Mehrere Anfragen in Bezug auf die Diskussion zur Umbenennung der Hans-Stempel-Straße in Landau nehmen wir als Vertreter*innen der Protestantischen Pfarrämter der Stiftskirche, des Protestantischen Dekanats sowie der Evangelischen Akademie der Pfalz zum Anlass, die Diskussionslage aus unserer Sicht kurz zusammenzufassen.

Zunächst stellen wir fest, dass es im Leben und Wirken von Hans Stempel Licht- und Schattenseiten gibt. Der ehemalige Stiftskirchenpfarrer und erste Präsident der Evangelischen Kirche der Pfalz nach 1945 hat sich Verdienste erworben, die es zu würdigen gilt. Als Gemeindepfarrer genoss er in Landau hohe Anerkennung. In der NS-Zeit fungierte er als Vorsitzender der Pfälzischen Pfarrbruderschaft, die zeitweise in Opposition zu den Deutschen-Christen und zum NS-Landesbischof Ludwig Diehl trat. Nach 1945 war Stempel wesentlicher Motor für den Aufbau partnerschaftlicher Beziehungen zum englischen und französischen Protestantismus. Im deutsch-französischen Bruderrat gehörte er zusammen mit dem französischen Militärgeistlichen Marcel Sturm zu den prägenden Persönlichkeiten und war so einer der Wegbereiter der deutsch-französischen Freundschaft. Zur Wiederbewaffnung der Bundesrepublik nahm er kritisch Stellung. Ein Meilenstein für die Gleichstellung von Frauen und Männern in der protestantischen Kirche ist die Einführung der Frauenordination während seiner Amtszeit. Verschiedene Ehrungen spiegeln seine Verdienste. Am 6. November 1970 fanden die Beisetzungsfeierlichkeiten in der Stiftskirche in Landau im Beisein des damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann statt.

Eine von der Landeskirche initiierte und finanzierte Forschungsarbeit unter Federführung der Evangelischen Akademie untersuchte das Engagement Hans Stempels für im Ausland inhaftierte NS-Täter. Von 1945 bis zu seinem Tode machte sich Stempel die seelsorgliche Betreuung deutscher Kriegsgefangener, Internierter und verurteilter NS-Täter im Ausland zur Aufgabe. Sein Engagement ging über die seelsorgliche Begleitung weit hinaus. Er kümmerte sich um materielle Hilfe für die Inhaftierten und ihre Familien, auch mithilfe des revisionistischen Vereins Stille Hilfe e.V. Er machte Eingaben zur Verbesserung von Haftbedingungen, zur Aussetzung der Todesstrafen, Unterstützung von Gnadengesuchen und Vermittlung von Arbeitsplätzen nach der Entlassung. In späteren Jahren war ihm die Freilassung aller Verurteilten ein Anliegen, unabhängig von der Schwere der Schuld und erkennbaren Zeichen der Reue. Stempel war kein Nationalsozialist. NS-Unrecht hat er weder geleugnet noch verharmlost. In seinem Engagement für verurteilte NS-Täter ist das Mitgefühl für diese Menschen erkennbar. Dabei stellte er die Perspektive der Opfer in die zweite Reihe, womit er diesen angesichts des erlittenen Unrechts nicht gerecht wurde. Dies wirft einen großen Schatten auf sein Wirken.

Mit seiner Haltung sehen wir Stempel als typischen Vertreter der kirchlich und politisch Handelnden der frühen Bundesrepublik. Zusammenfassend halten wir ihm und seiner durch den Nationalismus des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts geprägten Generation zugute, dass sie vor dem Hintergrund der Erfahrungen der NS-Zeit durch die Stärkung der gesellschaftlichen Bindekräfte nach 1945 die Grundlagen für den Erfolg der jungen Demokratie legten und somit die Voraussetzungen schufen für das Wachsen der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft, in der wir heute leben. Sein Einsatz für den Frieden und die europäische Ökumene war einer der Bausteine, die zum Zusammenwachsen Europas beitrugen. Die kritische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit hat er eher gehemmt als gefördert. Stempel bleibt deshalb eine ambivalente Persönlichkeit mit nicht zu leugnenden Schattenseiten.

Zu bedenken ist, dass Stempels seelsorgliches Engagement für verurteilte NS-Täter im Ausland vor 10 Jahren bei der Straßenbenennung im Grunde schon bekannt war. Ob angesichts dessen der Entzug der Ehrung durch eine Umbenennung angemessen ist oder als unangemessene Diskreditierung von Hans Stempel zu bewerten wäre, entscheiden die Landauer Stadtgesellschaft und der Stadtrat.

Landau, den 7. September 2023

Dekan Volker Janke, Protestantischer Kirchenbezirk Landau und Pfarramt 2 Landau-Mitte

Pfarrerin Heike Messerschmitt, Pfarramt 1 Landau-Mitte

Pfarrer Jürgen Leonhard, Pfarramt 3 Landau-Mitte

Pfarrer Dr. Christoph Picker, Direktor der Evangelischen Akademie der Pfalz